Auswahl: Wirkfaktoren


Wirkfaktorengruppe

Definition - Wirkfaktoren

2 Veränderung der Habitatstruktur / Nutzung >> 2-3 Intensivierung der land-, forst- oder fischereiwirtschaftlichen Nutzung

Intensivierung einer land-, forst- oder fischereiwirtschaftlichen Nutzungsart im weiteren Sinne. Dazu zählen auch garten-, obst- oder weinbauliche Nutzungen, der Anbau nachwachsender Rohstoffe oder die Intensivierung im Bereich von Aquakulturen oder Angelsport etc.

Nutzungsintensivierungen haben oft weitere Wirkungen zur Folge (vgl. z. B. Wirkfaktoren 2-2, 6-1 oder 8-3).

Vertiefende Ausführungen - Wirkfaktoren

2 Veränderung der Habitatstruktur / Nutzung >> 2-3 Intensivierung der land-, forst- oder fischereiwirtschaftlichen Nutzung

Intensive Landnutzungen beinhalten meist mehrere damit verbundene Einzelfaktoren, die von struktureller Verarmung zur Erhöhung der Anbaufläche und maschinengerechter Bewirtschaftung über mechanische Belastungen bis hin zum Einsatz verschiedenster umweltrelevanter Chemikalien reichen. Intensive Landnutzungen bzw. eine Intensivierung derselben zählen zu den gravierendsten Ursachen des Artenrückgangs und des Verlustes bzw. der strukturellen Verarmung von Lebensraumtypen in Mitteleuropa; dies ist bereits seit langem bekannt und in zahlreichen Arbeiten belegt bzw. aus anderen Arbeiten zusammengefasst (s. BICK & BROCKSIEPER 1979, MADER 1982, MEISEL & HÜBSCHMANN 1976, KAULE 1991 u. a.).

Die Abgrenzung zwischen Wirkfaktor und Projekt ist hier fließend. So kann die Intensivierung als Folge eines (anderen) Projektes auftreten, z. B. als Konsequenz einer besseren verkehrlichen bzw. infrastrukturellen Erschließung, baulicher Erweiterungen (z. B. von landwirtschaftlichen Betrieben), projektbedingt veränderter Grundwasserverhältnisse (z. B. beim Gewässer- oder Deichausbau) oder eines durch Inanspruch genommene Flächen erhöhten Nutzungsdrucks auf verbliebenen Flächen. Sie kann aber auch selbst eine Maßnahme darstellen, die als Projekt (nach § 34 Abs. 1, ggf. in Verb. Mit § 34 Abs. 6 BNatSchG) unmittelbar einer FFH-VP zu unterziehen ist (vgl. z. B. KOOP 2013, LINKE 2013, VON LINDEINER 2013 oder SCHAAL 2014).

Eine Intensivierung einer landwirtschaftlichen Nutzung stellt z. B. eine erhöhte Mahdanzahl i. d. R. einhergehend mit erhöhten Düngergaben oder ein erhöhter Viehbesatz dar. Auch Erhöhungen beim Einsatz von Chemikalien (zu Pestiziden s. Wirkfaktor 8-3), Änderungen der Anbauprodukte, Monokulturen etc. können relevant sein. Besondere Bedeutung hat z. B. der Umbruch und Verlust von Grünland. Beim Anbau nachwachsender Rohstoffe treten vielfach der landwirtschaftlichen Intensivierung vergleichbare Wirkfaktoren bzw. Wirkungen auf.

Im Forst kommen die unter Gesichtspunkten des Waldökosystems geringen Umtriebszeiten hinzu, die ein hohes Alter sowie die für zahlreiche Holzbewohner besonders wichtigen Zerfallsstadien massiven stehenden Totholzes bei Laubbäumen wie der Eiche weitgehend verhindern. Ebenso werden wichtige frühe Waldsukzessionsstadien z. B. auf Sturmwürfen durch rasche Aufforstung zeitlich stark verkürzt oder verringert. Auch Maßnahmen im Kontext von Kurzumtriebsplantagen sind in ihren Wirkungen häufig als Intensivierung zu verstehen.

Auf die Aspekte der intensiven fischereiwirtschaftlichen Nutzung ist speziell einzugehen, da diese gegenüber den flächenhaften land- und forstwirtschaftlichen Einflüssen oftmals kaum Beachtung finden, jedoch in der Vergangenheit und aktuell dennoch in einigen Fällen erhebliche Einflüsse auf Artenbestände haben bzw. hatten. Bekanntestes Beispiel einer mit durch die Fischerei erheblich zurückgegangenen Art ist wohl der Lachs (Salmo salar). Als weitere Art des Anhangs II FFH-RL ist der Stör (Acipenser sturio) zu nennen, für den SCHMIDT (2002) "rücksichtslose Überfischung" als Hauptursache für sein nahezu völliges Verschwinden benennt. Der Autor beschreibt die frühere Situation u. a. wie folgt: "In Deutschland wiesen die in die Nordsee entwässernden Flüsse teils erhebliche Populationen von Acipenser sturio auf. Die Verbreitung beschränkte sich jedoch auf den Unterlauf der Gewässer, wo die wichtigsten Reproduktionszentren lagen. [...] Wegen der hohen Qualität seines Fleisches und des Wertes des Genussmittels Kaviar sowie der Nutzung anderer Bestandteile des Tierkörpers zur Erzeugung wertvoller Leime usw. war der Stör in Mitteleuropa seit alters her fast überall sehr begehrt. [...] Der Fang erfolgte in deutschen Flüssen vorwiegend mit Stellnetzen, Treibnetzen und Langleinen. Im Bereich der deutschen Nordseeküste wurde er kommerziell bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts betrieben. Noch gegen Ende des 19. Jahrhunderts konnten aus der unteren Elbe, Weser und Ems sowie dem Wattenmeer und der eigentlichen Nordsee jährlich rund 7000 Störe angelandet werden."

Heute spielt intensive fischereiliche Nutzung als Gefährdungsfaktor v. a. im Bereich der Meere und Küsten sowie bei der Bewirtschaftung kleinerer Stillgewässer eine Rolle. Für den Meeresbereich seien als Beispiel die Nebenwirkungen auf Schweinswale (Phocoena phocoena) benannt (z. B. VINTHER 1999), für intensiv bewirtschaftete Stillgewässer der Ausfall deren Habitateignung z. B. für anspruchsvolle Libellen- und Amphibienarten (z. B. Zusammenstellungen bei GÜNTHER 1996).

Im Bereich der Fließgewässer kann zudem die Überprägung der Zönosen durch Besatzmaßnahmen (insbesondere nicht standortheimischer Arten) relevant sein. Hierzu formulieren MUNLV & FISCHEREIVERBAND NORDRHEIN-WESTFALEN E.V. (2003) in ihrer Leitlinie zum Fischbesatz (S. 6): "Im Falle von Besatzmaßnahmen ist zu bedenken, dass im Übermaß eingesetzte Fische zu den naturgemäß aufkommenden Fischarten in Nahrungskonkurrenz treten und eventuell sogar die bodenständigen Fische gefährden können. Überbesatz mit Raubfischen kann im Extrem sogar die Kleinfische schädigen, die dann einem zu großen Räuberdruck unterliegen."

HOLZER et al. (2003) gehen auf die Problematik zu wenig angepasster fischereilicher Bewirtschaftung von Gewässern ein (S. 12 ff.) "Der Besatz von stark domestizierten Fischen oder das Einbringen von Wildfischen aus anderen Gewässersystemen kann zu einer starken Veränderung des genetischen Erbgutes der Wildfischpopulation führen. Hierfür sind bei stark domestizierten Fischen die Auswirkungen der geschlossenen Laichtier-Bewirtschaftung [genetische Zufallsdrift, Flaschenhalseffekte, Inzucht und Domestikation] verantwortlich. Der Besatz mit Wildfischen aus anderen Gewässersystemen führt zu einer starken Reduktion der Fitness der Nachkommenschaft. Weiter können innerartliche und zwischenartliche Konkurrenzphänomene einen starken Druck auf die Wildfischpopulationen ausüben..."

Als Konsequenz leiten die Autoren mehrere Forderungen bzw. Handlungsempfehlungen ab, u. a.: " ... ist in Gewässern mit bestehender guter Wildfischpopulation von einem Besatz mit domestizierten Fischen und mit Fischen aus anderen Gewässersystemen abzuraten. [...] Ein Besatz mit Nachkommen von gewässereigenen Wildfischen ist nur als Initialbesatz nach einer Katastrophe (z. B. Fischsterben) oder zur Stützung einer geschwächten Wildfischpopulation sinnvoll und erfordert aus ökologischer Sicht die Einhaltung möglichst aller Schritte der offenen Laichtier-Bewirtschaftung" (HOLZER et al. 2003). Weitere Empfehlungen werden für Gewässer mit geringer oder ohne Wildfischpopulation und die Neuorientierung von Fischzuchten gegeben (s. aber auch Wirkfaktor 8-4, Freisetzung gentechnisch neuer bzw. veränderter Organismen).

Zur Prognose der Beeinträchtigungen sind grundsätzlich die dokumentierten Habitatspektren der ggf. betroffenen Arten und ihre Empfindlichkeit gegenüber einzelnen Wirkfaktoren (z. B. Beweidungsintensität), im Fall der Lebensraumtypen wertgebende standörtliche und strukturelle Parameter sowie erwartete Veränderungen in den Artenspektren und den quantitativen Anteilen charakteristischer bzw. besonders schutzrelevanter Arten zu berücksichtigen. Auch hier können ggf. - wie bei anderen Wirkfaktoren - direkte Vergleiche mit bereits intensivierten Referenzflächen ähnlicher Ausgangsstandorte herangezogen werden.
ihre meinung

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