Auswahl: Wirkfaktoren


Wirkfaktorengruppe

Definition - Wirkfaktoren

8 Gezielte Beeinflussung von Arten und Organismen >> 8-2 Förderung / Ausbreitung gebietsfremder Arten

Verbreitung von Pflanzen- und Tierarten, die aufgrund der natürlichen bzw. ursprünglichen Standort- bzw. Habitatbedingungen lokal nicht vorkommen, z. B. durch gezieltes oder unbeabsichtigtes Ausbringen oder sonstige Maßnahmen.

Fischbesatz wird unter Wirkfaktor 2-3 behandelt.

Vertiefende Ausführungen - Wirkfaktoren

8 Gezielte Beeinflussung von Arten und Organismen >> 8-2 Förderung / Ausbreitung gebietsfremder Arten

Eine umfangreiche Darstellung zu biologischen Invasionen durch Neophyten und Neozoen gibt bereits KOWARIK (2003), aus dessen Syntheseteil (S. 283 ff.) ein Abschnitt zitiert werden soll: "Biologische Invasionen verändern die genetische Struktur von Populationen ebenso wie die Verbreitungsmuster von Arten im lokalen, regionalen, kontinentalen und globalen Maßstab. Ihre Folgen sind daher ökologisch und in höchstem Maße auch evolutionär und biogeographisch relevant, da in erdgeschichtlich kurzer Zeit Veränderungen erfolgen, die natürlicherweise nie oder nur in sehr langen Zeiträumen geschehen würden [...]. Die Wirkungsebene, auf denen sich Invasionen abzeichnen, reichen von Individuen, Populationen, Lebensgemeinschaften und Ökosystemausschnitten bis hin zu Arten und anderen Taxa, die in ihrer Gesamtheit als Typus betroffen sind [...]. Die Wirkungspfade verlaufen dabei in vielen Fällen nicht linear, sondern spielen synergistisch zusammen, lösen Wirkungskaskaden von der Populations- bis hin zu Ökosystemebene aus, wie am Beispiel der Robinie zu erkennen ist [...]. [Sie] verdrängt durch Konkurrenz lichtliebende Magerrasenarten, bietet zugleich aber Wurzelknöllchenbakterien optimale Entwicklungsmöglichkeiten als Symbiosepartner, wodurch der Stickstoffhaushalt des Standortes nachhaltig verändert wird. Davon profitieren nitrophile Arten, die durch Beschattung Offenlandarten noch weiter verdrängen und dadurch "Safe Sites" für Waldarten schaffen, die langfristig die Ökosystemdynamik prägen werden. Immer sind Sukzessionen mit dem lokalen Erlöschen von Individuen und Populationen verbunden. Bei Robinien betrifft dies seltene Magerrasenarten, sodass die Gefährdung von Individuen und Populationen auch den Rückgang von Arten in einem größeren Gebiet begünstigen kann."

Bei gebietsfremden Arten handelt es sich aber nicht nur um solche, die z. B. von außerhalb Mitteleuropas eingeschleppt wurden. Auch auf kleinräumiger Ebene - z. B. Naturräume 4. Ordnung - gibt es Differenzierungen der Flora und Fauna und können Verfälschungen des Artenspektrums auftreten. Darüber hinaus ist nicht nur die Artebene, sondern auch eine weitergehende Differenzierung hinsichtlich des Genpools relevant, insbesondere wenn spezifische Anpassungen an naturräumliche oder standörtliche Verhältnisse vorliegen. Wirkungen können sich - wie z. B. im Falle der Blühphänologie bei Pflanzen im Kontext mit den Entwicklungszeiten auf sie angewiesener Insektenarten - vervielfachen.

Ursachen der Förderung oder Ausbreitung gebietsfremder Arten sind heute vielfältig, diverse Landnutzungen und Verkehr oder Verkehrsinfrastrukturen leisten hierbei einen großen Beitrag. So führen REISE et al. (1999) mehr als 40 mit Schiffen an die deutsche Nordseeküste verfrachtete Arten auf, Kanäle tragen zur Ausbreitung gebietsfremder Arten zwischen verschiedenen Flusssystemen bei (z. B. LELEK 1996). Auch zu Strassen- und Eisenbahnverkehr finden sich zahlreiche Beispiele (z. B. zusammengestellt bei KOWARIK 2003).

Bei vielen Projekttypen sind grundsätzlich Risiken der Förderung oder Ausbreitung gebietsfremder Arten bzw. gebietsfremder Genotypen gegeben, u. a. durch den Einsatz nicht gereinigter Maschinen, die Verbringung von Substraten oder durch Ansaat- und Bepflanzungsmaßnahmen (s. auch REIF & NICKEL 2000). Ein Beispiel hierfür geben MÖRSDORF & CASPARI (1998) mit den Begleituntersuchungen im Rahmen des Erprobungs- und Entwicklungsvorhabens "Oster", einem kleineren Fließgewässer im Saarland. Im Rahmen deren naturnaher Umgestaltung wurde das "rasche Ausbreiten einiger unbeabsichtigt eingebrachter Pflanzenarten" dokumentiert. "Die Einschleppung geschah auf fahrlässige, bei den aktiv eingebrachten Arten (falsche Artenzusammensetzung in den Faschinen) auf grob fahrlässige Weise". In einem Abschnitt innerhalb einer Ortslage wurde in großem Umfang Lebendverbau mit den bereits erwähnten Faschinen vorgenommen, in einem anderen Abschnitt wurden fehlerhaft zusammengesetzte und Fremddiasporen enthaltene Einzelbulte eingesetzt. Mindestens 7 Pflanzenarten wurden eingeschleppt, darunter der Schwarzfrüchtige Zweizahn (Bidens frondosa), ein Neophyt, der bisher im betroffenen Gewässersystem noch völlig fehlte. Bereits 2 Jahre nach der Durchführung des Lebendverbaus musste eine durch Frühjahrshochwasser unterstützte rasche Ausbreitung im Gebiet festgestellt werden.

Ein besonderes Gewicht im Umgang mit der Förderung/Ausbreitung gebietsfremder Arten muss im Bereich der Vorbeugung liegen, für die KOWARIK (2003: 308 ff.) verschiedene Konsequenzen, u. a. auch auf rechtlicher Ebene, fordert.

Standardisierte Bewertungsverfahren für entsprechende Risiken in FFH-Verträglichkeitsprüfungen von Projekten liegen nach derzeitigem Kenntnisstand bislang nicht vor. Differenzierte Beurteilungsgrundlagen finden sich aber z. B. unter http://www.neobiota.de bzw. in den naturschutzfachlichen Invasivitätsbewertungen für in Deutschland wild lebende gebietsfremde Arten (vgl. z. B. NEHRING et al. 2010, 2013, 2015).
ihre meinung

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