Auswahl: Wirkfaktoren


Wirkfaktorengruppe

Definition - Wirkfaktoren

8 Gezielte Beeinflussung von Arten und Organismen >> 8-3 Bekämpfung von Organismen (Pestizide u.a.)

Einsatz von Herbiziden, Fungiziden, Insektiziden, auch von insektenpathogenen Bakterien oder Viren, die zu einer unmittelbaren oder mittelbaren Schädigung oder Tötung von Pflanzen oder Tieren führen können.

Daneben sind indirekte strukturelle Auswirkungen auf Habitate möglich.

Vertiefende Ausführungen - Wirkfaktoren

8 Gezielte Beeinflussung von Arten und Organismen >> 8-3 Bekämpfung von Organismen (Pestizide u.a.)

Unter Pestiziden werden hier zusammenfassend alle chemischen Schädlingsbekämpfungsmittel verstanden. Eine häufige Einteilung richtet sich nach den Zielorganismen (z. B. Herbizide, Fungizide, Insektizide), weiter werden hierunter auch Beizmittel (im Holzschutz) gefasst. Daneben können auch insektenpathogene Bakterien oder Viren zur Bekämpfung unerwünschter Organismen eingesetzt werden, die über die Verknappung von Nahrungstieren z. B. Auswirkungen auf Fledermäuse haben können.

Die Pestizide gehören einer Vielfalt von chemischen Verbindungsklassen an, wobei die wichtigsten aliphatische Halogenkohlenwasserstoffe, organische Nitroverbindungen, Rotenoide, Pyrethrine, chlorierte Kohlenwasserstoffe (z. B. DDT und seine Derivate, HCH=Lindan, Aldrin, Dieldrin), organische Phosphorsäureester (z. B. Parathion, Malathion, Metasystox), Carbamate (z. B. Carbaryl), Thiokarbamate, Phtalimide, Triazine (z. B. Atrazin) und Phenoxisäuren sind (vgl. HEINRICH & HERGT 1994: 196ff.). Einzelne Stoffgruppen der polychlorierten Verbindungen (Dibenzo-p-dioxine, Dibenzofurane) beinhalten extrem giftige Isomere (HEINRICH & HERGT 1994: 172f.). Metall-organische Verbindungen und Schwermetallsalze werden bei Schwermetallen behandelt, polychlorierte Biphenyle (PCB) bei organischen Verbindungen.

Pestizide wirken sich entweder direkt schädigend auf die betroffenen Arten wie Arthropoden aus oder indirekt über ein vermindertes Nahrungsangebot für Insectivore und Herbivore bzw. über die Anreicherung in der Nahrungskette für räuberisch lebende größere Arten (Fledermäuse, andere Säugetiere, Vögel). Die Konsequenzen des DDT-Einsatzes in den 1950er bis 1970er Jahren sind v. a. für die Endglieder der Nahrungsketten wie Greifvögel in der Literatur dokumentiert. Die Auswirkungen sind die Dünnschaligkeit der Eier und ein verminderter Reproduktionserfolg, z. B. beim Fischadler (Pandion haliaetus; OEHME 1987). Eine starke Pestizidbelastung weisen v. a. vogeljagende Greifvögel auf. Die Auswirkungen von Pestiziden auf kleinere, insektenfressende Vogelarten wie die Kohlmeise (Parus major) beschreiben MATTES et al. (1980). Dort konnte auch bei Einhaltung der damals zugelassenen Spritzmittelmengen eine Schädigung der Kohlmeisenbruten festgestellt werden. Neben einer signifikanten Abnahme der Eischalendicke wird ein vermindertes Nahrungsangebot für die Schwächung der Jungvögel verantwortlich gemacht. Folgen waren Unterschiede in der Siedlungsdichte, Gelegegröße, Jungenmortalität, Gewichtsentwicklung der Nestlinge und in der Fütterungsrate. Bei Herbizideinsatz kann eine Veränderung der Vegetation zu mikroklimatischen Veränderungen und weitreichenden Konsequenzen für am Boden lebende Organismen führen. Eine weitere Belastung ist über Pestizideinträge in Gewässer gegeben, die sich auf die dort lebenden Organismen auswirken.

Eine sehr detaillierte Zusammenstellung über die Auswirkungen von Pflanzenbehandlungs- und Schädlingsbekämpfungsmitteln (PBSM) auf die Umwelt geben AKKAN et al. (2003). Sie unterscheiden bei der Bewertung der PBSM-Kontamination zwischen humantoxikologischen und ökotoxikologischen Wirkungen; diese sowohl im aquatischen wie im terrestrischen Bereich.

Wie von KÜHNE et al. (2000) zusammengestellt, kommt es auch bei bestimmungsgemäßer und sachgerechter Anwendung von Pestiziden zu erheblichen Schädigungen von Nichtzielarthropoden. Nach Angaben von WETZEL (1993) wird ein Anteil von 97 % von Nichtzielarten an der Arthropodenfauna bei einem Pestizideinsatz in einer großstrukturierten Agrarlandschaft geschädigt. Neben den direkt betroffenen Arten auf den Nutzflächen sind insbesondere auch die Organismen in Saumstrukturen z. B. durch Abtrift belastet. Für Heuschrecken in Saumstrukturen ist belegt, dass es in durch Insektizidabtrift belasteten Flächen zu einer Abnahme der Arten- und Individuenzahl kommen kann (KÜHNE et al. 2001). Eine Zusammenstellung der Wirkungsweise verschiedener Insektizide, Herbizide und Fungizide auf Insekten geben HELIÖVAARA et al. (1993). In einer Metastudie weisen VAN DER SLUIJS et al. (2015) auf die Gefährdung zahlreicher Wirbelloser durch Neonikotinoide und Fipronil hin.

Direkt betroffen vom Pestizideinsatz sind auch die Organismen der Bodenfauna, d. h. Primärzersetzer wie Regenwürmer, Sekundärzersetzer wie Milben und Collembolen und Raubarthropoden wie Laufkäfer. Regenwürmer zeigten im Versuch eine erhöhte Empfindlichkeit gegenüber Fungiziden, so dass es durch die verringerte Aktivität der Regenwürmer wiederum zu einem erhöhten Pilzbefall kam (KULA 1990). Verschiedene Laufkäfer (Bembidion aeneum, B. lunulatum, B. obtusum, Trechus quadristriatus) konnten beim Vergleich von herkömmlich behandelten Flächen mit solchen, die weniger gespritzt wurden, nur noch in den Bodenfallen auf den geringer belasteten Flächen nachgewiesen werden (FRAMPTON et al. 1994).

Die Auswirkungen des Dimilin- und Btk (Bacillus thuringiensis kurstaki)-Einsatzes im Steigerwald zur Bekämpfung des Schwammspinners (Lymantria dispar) sind für die dort lebende Tagfalterfauna von BOLZ (1995) dokumentiert. "Auf Dimilin-behandelten Flächen ist aufgrund der Persistenz der Wirkung [...] ein weiterer Effekt auf solche Arten zu erwarten, die ihre Eier an alte, bereits im Frühjahr getriebene Blätter heften ..." Eine Abgrenzung der Wirkungsweise von Dimilin gegenüber dem biologischen Bekämpfungsmittels Btk, das nur kürzere Zeit wirkt, war in dieser Untersuchung wegen der kleinflächigen Anwendung nicht möglich. Das Aussparen von "biologischen Fenstern", die gar nicht oder nur mit Btk behandelt wurden, hat sich als nicht sinnvoll erwiesen. Wegen der Abtrift des per Hubschrauber ausgebrachten Wirkstoffes ist ein Aussparen bei kleinen Flächen praktisch gar nicht möglich. WEIDEMANN & KÖHLER (1996) verweisen neben den direkten negativen Auswirkungen des Insektizideinsatzes im Steigerwald auch auf beobachtete indirekte Auswirkungen wie die Abwanderung von Parasitoiden aus behandelten in unbehandelte Flächen. Die bis dahin verschont gebliebenen Larven vielfach auch seltener Arten unterlagen dann offenbar einem höheren Parasitierungsgrad.

Die Ausbringung von Pflanzenschutzmitteln wie "Karate Forst flüssig", "Dipel ES" und "Dimilin 80 WG" zur Schädlingsbekämpfung in Wäldern bedarf einer Überprüfung der Verträglichkeit mit den Erhaltungszielen eines FFH-Gebietes insbesondere im Hinblick auf die direkten und indirekten Auswirkungen.

Für Spinnen konnten HAUGHTON et al. (1999) eine indirekte Wirkung des Herbizids Glyphosate feststellen. Obwohl das Herbizid grundsätzlich nicht toxisch für Tiere ist, kam es zu einer Abnahme der beiden untersuchten Spinnenarten, da die Futterverfügbarkeit in den Feldsäumen abnahm und sich die Vegetation und das Mikroklima stark veränderten.

Die Länderarbeitsgemeinschaft Wasser (LAWA 2003) hat für das Schutzgut "Aquatische Lebensgemeinschaften" aufgrund ökotoxikologischer Daten Zielvorgaben zum Schutz oberirdischer Binnengewässer erarbeitet. Bei Einhaltung der Höchstkonzentrationen soll eine Gefährdung der Gewässerbiozönose bei längerfristiger Exposition nach heutigem Erkenntnisstand nicht zu befürchten sein. Eine bundesweite Erprobung der Zielvorgaben für insgesamt 34 unterschiedliche Stoffe ergab bei 25 Wirkstoffen eine mehr oder weniger häufige oder gravierende Überschreitung. Bei den Belastungsursachen wird zwischen produktionsbedingten und anwendungsbedingten Ursachen unterschieden und bei letzteren zwischen Gewässerbeeinträchtigungen aus dem landwirtschaftlichen und dem nicht-landwirtschaftlichen Bereich. Als wichtigste Belastungsquellen bei den landwirtschaftlichen Anwendungen werden "der Oberflächenabfluss sowie das Füllen, Reinigen und Warten der Spritzgeräte" genannt. Weitere Biozideinträge in Gewässer sind direkt, durch Bodenabtrag, Abdrift und Dränabflüsse.

Über die Wirkungen bspw. Von Triazinen auf Gewässerorganismen heißt es bei AKKAN et al. (2003): "Die aquatische Flora reagiert erwartungsgemäß am empfindlichsten auf die photosynthesehemmenden Triazine, hier zählen Algen zu den empfindlichsten Organismen. Beeinträchtigungen des Zooplanktons sind überwiegend indirekter Art, z.B. durch Reduktion des Futterangebotes. Die Empfindlichkeit von Gewässerbewohnern nimmt in der Reihenfolge Phytoplankton > aquatische Makroinvertebraten > Benthosorganismen > Zooplankton > Fische ab." Für Fische gilt, dass in der Regel die Embryonen und Larven empfindlicher sind als die adulten Tiere, wie dies für die Regenbogenforelle (Oncorhynchus mykiss) und Atrazine nachgewiesen wurde (BIRGE et al. 1979). Die akute toxische Wirkung des Insektizids Lindan auf Gewässerinsekten bzw. deren Larven ist von KÖHLER (o. J.) dokumentiert. Langfristig werden auch gegenüber Lindan weniger empfindliche Artengruppen wie Mollusken geschädigt. Wie NAGEL (2002) die Ergebnisse verschiedener Autoren zusammenstellt, reichern sich Pestizide im Weichkörper von Muscheln an und können zu Chromosomenschäden führen (s. in der Datenbank zu Unio crassus). Eine indirekte Wirkung ist auch über den Ausfall von Wirtsfischen zu erwarten (SCHMIDT 1990).

Ansonsten übliche Verfahren der Risikobewertung von Pestiziden dürften für die FFH-VP nicht bzw. kaum anwendbar sein, da im Wesentlichen andere "Prüforganismen", aber auch andere Beurteilungsmaßstäbe anzusetzen sind.
ihre meinung

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