FFH-VP-Info

Fachinformationssystem des BfN
zur FFH-Verträglichkeitsprüfung

Stand: 12. Januar 2023
Bundesamt für Naturschutz
A 338 Neuntöter (Lanius collurio)
2 Veränderung der Habitatstruktur / Nutzung Relevanz des Wirkfaktors: 2
2-5 (Länger) andauernde Aufgabe habitatprägender Nutzung / Pflege
1. Empfindlichkeiten/Wirkungen Jahr:

o. J.
Seite(n):

Qualifizierung der Quelle:
E
1.01 BearbeiterInnen FFH-VP-Info (siehe Impressum)
Die Habitatstrukturen von nutzungsabhängigen Vogellebensräumen unterliegen bei länger andauernden Unterbrechungen habitatprägender Nutzung / Pflege von mehr als 3 Jahren in Abhängigkeit der Geschlossenheit der Vegetationsbedeckung zunehmend sukzessionsbedingten Veränderungen. Innerhalb relativ kurzer Zeit (3-5 Jahre) können Vogelarten offener Lebensraumtypen ausfallen, die mehr oder weniger offene Böden bzw. kurzrasige Vegetation für die Nahrungssuche benötigen oder gegenüber Sichtverstellung und Kammerung der Landschaft empfindlich sind. Zusammensetzung und Häufigkeitsverhältnisse von Vogelgemeinschaften verändern sich über den weiteren Verlauf der Sukzession über halboffene Vorwaldstadien zu standorttypischen Waldgesellschaften.

Die verschiedenen Sukzessionsstadien unterscheiden sich auch in der Besiedlung durch Bodenarthropoden und damit in Zusammensetzung und Dichte der Nahrungstiere von Vögeln. Während frühe Stadien v. a. von licht- und wärmeliebenden Arten und Artengemeinschaften in z. T. hoher Dichte besiedelt sind, nehmen mit zunehmender Strauchbedeckung Arten- und Individuendichten von Laufkäfern, Spinnen und Heuschrecken ab (Rotter 2006). Mit dem Verbuschungsgrad bilden sich jeweils eigene Lebensgemeinschaften, zu denen auch typische Vogelarten gehören, die dieses Nahrungsangebot nutzen.

Die geringsten Empfindlichkeiten gegenüber längerfristigen Nutzungsunterbrechungen bestehen in halboffenen Vogellebensräumen. Durch Zurücksetzen der Sukzession mit Wiederaufnahme der (lebensraumtypischen) Nutzung oder Pflegemaßnahme sind hier projektbedingte Veränderungen von Vogellebensräumen in Abhängigkeit der zeitlichen und räumlichen Dimension möglicherweise reversibel. Die längerfristige Erhaltung von typischen Lebensraumqualitäten kann u. U. durch periodische/episodische Unterbrechungen bzw. das Zurücksetzen der Sukzession gewährleistet werden.

Bodenbrütende Offenlandarten sind gegenüber länger andauernder Aufgabe oder Unterbrechung von Nutzung und Pflege oder vollständiger Aufgabe der Nutzung besonders empfindlich. In den als Grünland genutzten Offenlandgebieten werden entsprechend dem Nutzungsinteresse der Bewirtschafter i. d. R. alle Flächen gemäht oder beweidet. Bei Aufgabe der Nutzung entstehen Vegetationsbestände, die entsprechend ihrem Flächenanteil direkte Verluste von Brutmöglichkeiten v. a. für Kiebitz, Brachvogel und Uferschnepfe darstellen. Diese Flächen bieten zudem ggf. Besiedlungsmöglichkeiten und Deckung für Prädatoren. In Abhängigkeit der Lage dieser Flächen können sich durch arttypisches Verhalten zur Prädationsminderung über Barrierewirkungen weitere Lebensraumverluste für diese Arten ergeben (zu Barrierewirkungen durch strukturelle optische Reize s. Wirkfaktor 5-2). Mit Andauer und räumlicher Ausdehnung ungenutzter Bereiche von Offenlandlebensräumen nehmen jedoch artspezifisch unterschiedlich die beschriebenen Empfindlichkeiten zu, so z. B. bei der Uferschnepfe früher als bei der Bekassine.

Über die Aspekte der Nutzungsaufgabe auf landwirtschaftlichen Anbau- und Nutzungsflächen hinaus ergeben sich bei bestimmten Arten Empfindlichkeiten auch für militärische Übungsplätze und im Bereich des Bodenabbaus (vgl. Wirkfaktor 3-1).

Durch kontinuierlich fortschreitenden Bodenabbau erneuerte Strukturen wie Steilwände, Abbrüche u. ä. werden von zahlreichen z. T. seltenen und gefährdeten Vogelarten als Sekundärlebensraum besiedelt. Großräumiger Tagebaubetrieb, der in Teilflächen über Jahre ruht, bietet ungestörte vegetationsfreie, -arme Brutplätze. So entstehen z. B. in offengelassenen wechselfeuchten Frästorfflächen Schlupflebensräume für Goldregenpfeifer und Alpenstrandläufer. Aufgrund der standortbedingt nur langsam einsetzenden und fortschreitenden Sukzession gehen diese Brutmöglichkeiten erst nach langjähriger Nutzungsaufgabe verloren.

Auf militärischen Übungsplätzen schaffen und erneuern v. a. Feuer und mechanische Bodeneinwirkungen durch den Fahrbetrieb immer wieder Offenbodenpartien und hohe Grenzliniendichten und damit spezifische Habitatstrukturen z. B. für das Birkhuhn (Wübbenhorst & Prüter 2007:89). Aufgrund veränderter militärischer Anforderungen kann sich der Übungsbetrieb verringern oder ganz aufgegeben werden, so dass die typischen Habitatqualitäten verloren gehen.

Konsequenzen der andauernden Aufgabe habitatprägender Nutzungen können - abhängig vom Umfang - z. B. Verlust von Teilhabitaten, Verringerung des Bruterfolgs, Bestandsrückgang oder Beeinträchtigung bzw. Erlöschen lokaler (Teil-)Populationen sein.
A 338 Neuntöter (Lanius collurio)
2 Veränderung der Habitatstruktur / Nutzung Relevanz des Wirkfaktors: 2
2-5 (Länger) andauernde Aufgabe habitatprägender Nutzung / Pflege
1. Empfindlichkeiten/Wirkungen Jahr:

o. J.
Seite(n):

Qualifizierung der Quelle:
E
1.02 BearbeiterInnen FFH-VP-Info (siehe Impressum)
Der Neuntöter ist ein charakteristischer Bewohner der halboffenen, strukturreichen und extensiv genutzten Kulturlandschaft. Länger andauernde Aufgabe habitatprägender Nutzung führt in der Regel zum Lebensraumverlust und damit zum Rückgang der Art. Neuntöterhabitate sind generell eher kurzlebig, da die Stadien der Vegetationsentwicklung, die für den Neuntöter optimale Bedingungen schaffen, meist nur vorübergehend sind (z. B. Kahlschläge oder Waldverjüngungsflächen) (Donnerbaum & Wichmann 2003:3).

Das Fortschreiten der Sukzession auf nicht mehr bewirtschafteten Flächen führt langfristig zur Bewaldung und damit zu einer Entwertung als Neuntöterlebensraum (z. B. Klein 1977:93, Jakober & Stauber 1987a:39). Auch MUNVL (2007:171) sehen in der Sukzession von mageren Grünlandflächen, Brachen, Trockenrasen etc. eine Gefährdung oder Beeinträchtigung.
A 338 Neuntöter (Lanius collurio)
2 Veränderung der Habitatstruktur / Nutzung Relevanz des Wirkfaktors: 2
2-5 (Länger) andauernde Aufgabe habitatprägender Nutzung / Pflege
1. Empfindlichkeiten/Wirkungen Jahr:

2002
Seite(n):

413
Qualifizierung der Quelle:
A
1.03 Vanhinsbergh, D. & Evans, A.
Die Abnahme der extensiven Beweidung ist ein Schlüsselfaktor für den Rückgang der Neuntöterbestände in Mitteleuropa. Strukturreiche Weiden erleichtern den Neuntötern die Nahrungssuche (Yosef & Grubb 1993, Schaub 1996, Vanhinsbergh 1999, alle zit. in Vanhinsbergh & Evans 2002:413). Beweidung verhindert zudem das Zuwachsen der Flächen durch Gehölze (Nieuwenhuyse & Vandekerkhove 1992, Olsson 1995, Lefranc 1997, alle zit. in Vanhinsbergh & Evans 2002:413). Die Bedeutung der Beweidung wird durch die Studie der Autoren und andere Studien gezeigt.
A 338 Neuntöter (Lanius collurio)
2 Veränderung der Habitatstruktur / Nutzung Relevanz des Wirkfaktors: 2
2-5 (Länger) andauernde Aufgabe habitatprägender Nutzung / Pflege
1. Empfindlichkeiten/Wirkungen Jahr:

1996
Seite(n):

169
Qualifizierung der Quelle:
A
1.04 Gatter, W.
Der Niedergang der Neuntöterpopulation ging auch einher mit dem Greifen des Abflämmverbots, durch das Flächenverluste an geeigneten Habitaten eintraten.
A 338 Neuntöter (Lanius collurio)
2 Veränderung der Habitatstruktur / Nutzung Relevanz des Wirkfaktors: 2
2-5 (Länger) andauernde Aufgabe habitatprägender Nutzung / Pflege
1. Empfindlichkeiten/Wirkungen Jahr:

1987a
Seite(n):

573f.
Qualifizierung der Quelle:
A
1.05 Hölzinger, J. (Bearb.)
Mit steigender Nesthöhe vermindert sich die Bruterfolgsrate. Hochwuchs führt zu einer Verringerung des Deckungsgrades wodurch der Feind- und Witterungseinfluss verstärkt wird. Überalterte Heckenstreifen können so als Nisträume bedeutungslos werden.
A 338 Neuntöter (Lanius collurio)
2 Veränderung der Habitatstruktur / Nutzung Relevanz des Wirkfaktors: 2
2-5 (Länger) andauernde Aufgabe habitatprägender Nutzung / Pflege
1. Empfindlichkeiten/Wirkungen Jahr:

2007
Seite(n):

165
Qualifizierung der Quelle:
A
1.06 Brambilla, M., Rubolini, D. & Guidali, F.
Neuntöter zeigten im Untersuchungsgebiet in Norditalien keine klare Präferenz für unkultiviertes Land. Gebiete mit der Klimax-Vegetation (Eichenwälder) waren komplett gemieden. Landwirtschaftliche Gebiete sollten so gemanagt werden, dass Sukzession vermieden wird.
A 338 Neuntöter (Lanius collurio)
2 Veränderung der Habitatstruktur / Nutzung Relevanz des Wirkfaktors: 2
2-5 (Länger) andauernde Aufgabe habitatprägender Nutzung / Pflege
1. Empfindlichkeiten/Wirkungen Jahr:

1997
Seite(n):

Qualifizierung der Quelle:
A
1.07 Erlemann, P.
In Hessen führte die Ausdehnung von Schlehenhecken nach Nutzungsaufgabe lokal zum Verlust geeigneter Nahrungshabitate und somit zum Bestandsrückgang.
A 338 Neuntöter (Lanius collurio)
2 Veränderung der Habitatstruktur / Nutzung Relevanz des Wirkfaktors: 2
2-5 (Länger) andauernde Aufgabe habitatprägender Nutzung / Pflege
1. Empfindlichkeiten/Wirkungen Jahr:

1997
Seite(n):

249
Qualifizierung der Quelle:
A
1.08 Hölzinger, J.
Flächen mit zunehmender Verbuschung und Eschenaufwuchs eignen sich für den Neuntöter immer weniger, da sich die Möglichkeiten zur Bodenjagd verringern. Für die Zukunft des Neuntöters ist die Offenhaltung solcher Flächen von größter Bedeutung.
A 338 Neuntöter (Lanius collurio)
2 Veränderung der Habitatstruktur / Nutzung Relevanz des Wirkfaktors: 2
2-5 (Länger) andauernde Aufgabe habitatprägender Nutzung / Pflege
1. Empfindlichkeiten/Wirkungen Jahr:

2000
Seite(n):

Qualifizierung der Quelle:
A
1.09 Härtel, H.
Durch zunehmende Verbuschung und nachfolgende Bewaldung infolge natürlicher Sukzessionsabläufe verliert der Neuntöter in den Mittelgebirgen Westfalens langfristig Lebensräume.
A 338 Neuntöter (Lanius collurio)
2 Veränderung der Habitatstruktur / Nutzung Relevanz des Wirkfaktors: 2
2-5 (Länger) andauernde Aufgabe habitatprägender Nutzung / Pflege
3. Prognosemethoden Jahr:

o. J.
Seite(n):

Qualifizierung der Quelle:
E
3.01 BearbeiterInnen FFH-VP-Info (siehe Impressum)
I. d. R. erfolgt die Wirkungsbeurteilung durch Überlagerung der vom Projekt entsprechend beeinflussten Flächen mit allen nach den Erhaltungszielen zu bewahrenden bzw. zu entwickelnden (Teil-)Habitaten. Die betroffenen Habitate bzw. Habitatstrukturen sind hinsichtlich ihrer mittel- bis längerfristigen Entwicklung und der qualitativen Abweichung zu bewerten. Soweit erforderlich, sind unterschiedliche Teilhabitate der Art in der Prognose differenziert zu betrachten. Dabei sind zum einen die absoluten Habitatverluste bzw. -verschlechterungen (qm/ha) sowie die relativen (%) bezogen auf den Gesamtbestand im Gebiet bzw. die funktional zusammengehörenden Habitate der Art zu ermitteln bzw. abzuschätzen.

Darauf aufbauend sind die qualitativen und quantitativen Funktionsverluste für die betroffenen Individuen bzw. (Teil-)Bestände zu beurteilen. Soweit möglich, ist die Prognose durch Vergleich mit standörtlich und strukturell ähnlichen Habitaten bzw. solchen, die bereits entsprechenden Veränderungen unterlagen, abzusichern.

Im Einzelfall können auch Flächen außerhalb des Gebietes zu berücksichtigen sein, sofern die betroffenen (Teil-)Habitate eine wesentliche funktionale Bedeutung für die im Gebiet vorkommenden Bestände der Art aufweisen.

Etwaige kumulative Wirkungen additiver oder synergistischer Art durch andere Wirkfaktoren des Projekts/Plans oder im Zusammenwirken mit anderen Projekten/Plänen sind zu berücksichtigen.

Im Einzelfall können aus Gründen der Prognosesicherheit auch weitergehende Methoden notwendig werden (z. B. Populationsgefährdungsanalysen, Wirkungstests in Feldversuchen, s. Rassmus et al. 2003, Lambrecht et al. 2004).
A 338 Neuntöter (Lanius collurio)
2 Veränderung der Habitatstruktur / Nutzung Relevanz des Wirkfaktors: 2
2-5 (Länger) andauernde Aufgabe habitatprägender Nutzung / Pflege
4. Relevanzschwelle Jahr:

o. J.
Seite(n):

Qualifizierung der Quelle:
E
4.01 BearbeiterInnen FFH-VP-Info (siehe Impressum)
Soweit die Bestände der Art bzw. ihre Habitate nach den gebietsspezifischen Erhaltungszielen zu bewahren oder zu entwickeln sind, wird die Relevanzschwelle grundsätzlich bei jedem längerfristigen Ausfall habitatprägender Nutzung oder Pflege mit negativen Veränderungen in einem (Teil-) Habitat im Gebiet überschritten.

Im Einzelfall können Veränderungen auch außerhalb des Gebietes relevant sein, sofern die betroffenen (Teil-)Habitate eine wesentliche funktionale Bedeutung für die Bestände der Art im Gebiet aufweisen.
A 338 Neuntöter (Lanius collurio)
2 Veränderung der Habitatstruktur / Nutzung Relevanz des Wirkfaktors: 2
2-5 (Länger) andauernde Aufgabe habitatprägender Nutzung / Pflege
5. Erheblichkeitsschwelle Jahr:

o. J.
Seite(n):

Qualifizierung der Quelle:
E
5.01 BearbeiterInnen FFH-VP-Info (siehe Impressum)
Die Beeinträchtigungsintensität resultiert einerseits aus der artspezifischen Empfindlichkeit und andererseits aus der Intensität und Dimension der Veränderung der Habitatstrukturen und -funktionen.

Die absolute und die relative Dimension des Habitatverlustes bzw. seiner qualitativen Funktionsminderung sind wesentliche Größen der Beurteilung.

Wichtig für die Erheblichkeitsbeurteilung sind zudem die funktionale Bedeutung der einzelnen betroffenen Flächen/Teilhabitate sowie die zeitliche Dimension der Beeinträchtigung (Zeitpunkt, Häufigkeit und Dauer).

In bestimmten Fällen kann der Konventionsvorschlag für direkten Flächenentzug / -verlust in Habitaten zur Orientierung herangezogen werden (s. Wirkfaktor 1-1). Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass die in diesem Ansatz integrierten Orientierungswerte für vollständige bzw. dauerhafte Habitatverluste konzipiert wurden. Für graduelle Funktionsminderungen sind dagegen eigenständige Bewertungsansätze zu entwickeln oder die Funktionsverluste müssten als (ggf. prozentuale) Funktionsminderung bilanziert und dann mit den Orientierungswerten des Konventionsvorschlags ins Verhältnis gesetzt werden (vgl. Beispiel in Lambrecht & Trautner 2007: 83).

Bearbeitung und Zitiervorschlag: siehe Impressum von