Detaildaten zu Beinträchtigungen: Vogelarten

Graureiher - Ardea cinerea

Natura 2000-Code: A 028; Bearbeitungstand: III

Wirkfaktorengruppe: 6 Stoffliche Einwirkungen
Wirkfaktor: 6-2 Organische Verbindungen
Relevanz des Wirkfaktors:  regelmäßig relevant (2)

     Auswertekategorien:

  1. Empfindlichkeiten/Wirkungen (9)
  2. Regenerationsfähigkeit (0)
  3. Prognosemethoden (1)
  4. Relevanzschwelle (1)
  5. Erheblichkeitsschwelle (1)

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1. Empfindlichkeiten/Wirkungen

1.01 BearbeiterInnen FFH-VP-Info (siehe Impressum) (o. J.)

Unter organischen Verbindungen, die als Umweltgifte für Vögel akut oder chronisch schädigend sein können, werden insbesondere Öle, Lösungsmittel, Industriechemikalien als chemische Grundstoffe wie Benzol, Propan, Formaldehyd, Per- und polyfluorierte Alkylverbindungen (PFAS) sowie (chlorierte) Kohlenwasserstoffe und die davon abgeleiteten Substanzen wie z. B. Weichmacher zusammengefasst.

Ein erheblicher Anteil der Gesamtbelastung mit organischen Verbindungen stammt aus dem großflächigen Einsatz in der Landwirtschaft und diffusen Quellen wie Autoverkehr, Verbrauch im Alltag sowie aus der Verwendung von Pharmazeutika. Die Transportwege entsprechen den unter Wirkfaktor 6-1 für Nährstoffe (mit denen diese oft komplex verbunden sind) beschriebenen Verhältnissen, wobei nur vergleichsweise wenige Einträge organischer Belastungen über atmosphärische Niederschläge zustande kommen. Das erhöhte Gefährdungs- und Kontaminationspotenzial für Vögel der überwiegend aquatischen Lebensräume durch Akkumulation und Sedimentation wird unter Wirkfaktor 6-1 beschrieben.

Vögel reagieren auf Umweltgifte z. T. empfindlicher und schneller als der Mensch. In den höchsten Trophieebenen (Endgliedern) z. T. langer Nahrungsketten reichern sich Schadstoffe an, insbesondere bei karnivoren Greifvögeln und fischfressenden Arten wie z. B. Seevögeln (vgl. Lozán et al. 1994, Becker 2001, Richarz 2001:172ff., Muñoz Cifuentes 2004). Grundsätzlich bestimmen artspezifische v. a. aber individuelle Nahrungszusammensetzungen das Kontaminationsniveau (vgl. z. B. Ellenberg et al. 1984:403, Becker et al. 1985a, 1991, Mattig et al. 2000).

Organische Verbindungen werden von Vögeln im Fettgewebe akkumuliert und wirken insbesondere bei der Reproduktion und unter hohen physischen Belastungen, z. B. in Mangelzeiten oder während des Vogelzuges, biologisch beeinträchtigend oder schädigend (Heidmann et al. 1987:76).

Empfindlichkeiten gegenüber organischen Verbindungen sind vielfältig und oft wirkstoffspezifisch. So greift z. B. DDE in den Calciumhaushalt der Vogelindividuen ein. Auswirkungen sind z. B. die Reduzierung der Bruchfestigkeit von Eischalen. Polychlorierte Biphenyle (PCB) wirken ab Konzentrationen von 3-5 ?g/g Ei embryotoxisch (Becker et al. 1993, Muñoz Cifuentes 2004). Weiterhin sind Wirkungen der persistenten chlorierten Kohlenwasserstoffe auf das Nervensystem bekannt wie z. B. Hyperaktivität und weniger effektives Nestbauverhalten (Dobson 1981, zit. in Heidmann et al. 1987:76). PCB sind technische Gemische aus Kongeneren mit unterschiedlichem Chlorierungsgrad, wobei mit höherer Chlorierung auch die Akkumulation in biologischen Systemen steigt (Becker et al. 1991, Beyerbach et al. 1990, 1993).

Stoffe wie Benzol weisen ein z. T. unterschiedliches Wirkungsspektrum auf, zu dem karzinogene bzw. genotoxische Wirkungen sowie bei längerfristiger Exposition von Wirbeltieren Schäden am Knochenmark und blutbildenden System zählen.

Für die Seevogelarten, Herings-, Silber- und Mantelmöwe, wurden an der süd-westfranzösischen Atlantikküste im Rahmen einer dreijährigen Untersuchung die Belastungen mit verschiedenen PFAS und mögliche Auswirkungen auf die Individuen untersucht. Hohe Konzentrationen dieser Umweltschadstoffe korrelierten mit schlechter Körperkondition bei auffallend geschlechtsspezifischer Verteilung. Bei Mantelmöwen deutete sich ein Zusammenhang mit gestörter Ausschüttung des Schilddrüsenhormons TT3 an, das wichtige Körperfunktionen wie Wachstum und Entwicklung, Körpertemperatur und Herzschlag steuert (Sebastiano et al. 2021). Untersuchungen von PFAS-Belastungen junger Seevögel (Sturmtaucher, Möwen, Seeschwalben, Pelikane) an der Atlantikküste der USA ergaben Hinweise auf Beeinträchtigungen des Fettstoffwechsels in der Leber (Robuck et al. 2020). Fette haben eine Schlüsselfunktion bei Reproduktion, Zugleistungen sowie Gesundheit und Fitness der Individuen.

In der Literatur werden Exposition und Aufnahme verschiedener Stoffgruppen oft unter Umweltschadstoffen oder Umweltchemikalien und deren Wirkungen auf Vögel zusammengefasst untersucht. Im Rahmen von FFH-VP-Info erfolgt jedoch eine differenzierte Darstellung verschiedener Stoffgruppen bzw. Wirkmechanismen. So werden organische Verbindungen mit Schwermetallen wie z. B. Methyl-Quecksilber unter Wirkfaktor 6-3 (Schwermetalle), endokrine Wirkungen von Stoffen, also auf Hormonsystem, Organe und Stoffwechsel, z. B. von PCB oder Dioxinen, zusätzlich unter Wirkfaktor 6-8 (endokrin wirkende Stoffe) beschrieben. Organische Metallverbindungen wie z. B. TBT (Tributylzinn) u. a. Chemikalien mit dem Einsatzzweck "Bekämpfung von Organismen" werden beim Wirkfaktor 8-3 (Pestizide) behandelt.

Konsequenzen toxisch relevanter Belastungen durch organische Verbindungen können - abhängig vom Umfang - z. B. Verringerung des Bruterfolgs bzw. der Überlebenswahrscheinlichkeit von Individuen, Brutpaarverlust, Bestandsrückgang bis hin zu Beeinträchtigung bzw. Erlöschen lokaler (Teil-) Populationen sein.

Differenzierte Ausführungen zur Belastungssituation von Vögeln und deren Lebensräumen mit organischen Verbindungen sowie zu den möglichen Auswirkungen finden sich z. B. bei:
Becker et al. (1985a,b), Becker et al. (1991), Becker et al. (1992), Beyerbach et al. (1993), Disser et al. (1992), Becker (1994), Prüter et al. (1996), Becker et al. (1998), Kahle & Becker (2000), Thyen & Becker (2000), Becker (2001), Becker et al. (2001), Becker & Muñoz Cifuentes (2004), Muñoz Cifuentes (2004), Kenntner et al. (2006).
Einen Überblick zu Quellen, Anreicherung, Risiken und Regulierung von PFAS bietet ein Review von Abunada et al. (2020).

Qualifizierung der Quelle: E



1.02 Thompson, H. M., Fernandes, A., Rose, M., White, S. & Blackburn, A. (2006)

"Predatory water birds such as herons are susceptible to bioaccumulation of pollutants through ingestion of contaminated food sources and, as they are at the top of the food chain, they are at risk of significant biomagnification (De Luca-Abbott et al., 2001)."

Qualifizierung der Quelle: A



1.03 Burton, F. G., Marquiss, M. & Tullett, S. G. (1986)

"Previous work on the effect of DDE on the breeding of the grey heron has shown that it causes eggshell thinning and egg breakage (Cooke et al., 1976; Conroy and Stephenson, 1979; Marquiss, 1983). By analysing the contents of heron eggs for DDE we have attempted to assess the effect of this insecticide on eggshell porosity and its likely consequences for successful incubation. [...]
There is an indication, however, that elevated DDE levels in the adult resulting in DDE levels above 20 ppm in the egg can increase the number of pores per egg [...] and reduce eggshell thickness [...]. Our interpretation is that the main problem posed by shell thinning due to DDE is not an excessive water loss from the egg during incubation but rather the risk of the loss of the egg due to breakage in the nest. Heron eggs are likely to break during incubation if their shells are less than 0.24 mm thick Cooke et al., 1976)."

Qualifizierung der Quelle: A



1.04 Müller, C. Y. (1983)

In einer vergleichenden Studie der DDE-Konzentrationen in Graureihereiern sowie deren Eierschalendicke konnten Unterschiede zwischen den Untersuchungen von 1945 und 1968-1973 festgestellt werden: "Thus shells collected from 1968 to 1973 tended to be thinner than those collected up to 1945 and, in the recent samples, the thinner shells were associated with higher egg residues of DDE. [...]
The proportion of pairs breaking their shells was found to be linearly related to the mean DDE content of the egg sample. [...] The broken shell sample contained a higher proportion of shells < 240 µm in thickness than the sample of egg shells being incubated [...]. This suggests that the chances of an egg surviving the incubation period intact are much reduced if the shell thickness is < 240/µm. "

Qualifizierung der Quelle: A



1.05 Voslamber, B. & Vulink, J. (2010)

Für Graureiherküken mit Knochendeformationen in einer Kolonie in England wurden mögliche Zusammenhänge mit chemischen Belastungen untersucht. Zusammenhänge mit Schwermetallbelastungen konnten nicht festgestellt werden. Die Autoren vermuten, dass die festgestellten Konzentrationen von polychlorierten Biphenylen (PCB), polychlorierten Dibenzodioxinen (PCDD) und Dibenzofuranen (PCDF) Einfluss auf die Ablagerungen von Calcium in den Knochen der Tiere und damit auf die Knochenentwicklung haben könnten.

Qualifizierung der Quelle: A



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Reports: aktueller Wirkfaktor   aktuelle Wirkfaktorengruppe   alle Wirkfaktoren
 

Qualifizierung der Quellen für Vogelarten

Averallgemeinerbarer, in der Literatur dokumentierter Nachweis für diese spezielle Art
Bin der Literatur dokumentierter Nachweis für diese spezielle Art, aber möglicherweise Ausnahmefall
Cin der Literatur dokumentierter Nachweis für verwandte Arten bzw. andere Arten dieser Artengruppe, der als übertragbar eingestuft wird
Din der Literatur dokumentierter Hinweis für diese spezielle Art oder verwandte Arten bzw. andere Arten dieser Artengruppe
Eeigene Einschätzung oder Aussage Dritter, ohne in der Literatur dokumentierten Nachweis/Hinweis (Experteneinschätzung)
Fkeine Literatur verfügbar / Auswertung bzw. Einschätzung mit aktuellem Bearbeitungsstand noch nicht erfolgt

Legende: Bearbeitungsstand zum Bereich "Beeinträchtigungen"

-bislang noch nicht bearbeitet
Iderzeit nur Einschätzungen zur Relevanz der Wirkfaktoren vorhanden
IIzudem Detaildaten zur Auswertekategorie "1. Empfindlichkeiten/Wirkungen" vorhanden
IIIzudem Detaildaten zu den weiteren Auswertekategorien "2. bis 5." vorhanden
ihre meinung

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dirk.bernotat@bfn.de