Detaildaten zu Beinträchtigungen: Vogelarten

Merlin - Falco columbarius

Natura 2000-Code: A 098; Bearbeitungstand: III

Wirkfaktorengruppe: 6 Stoffliche Einwirkungen
Wirkfaktor: 6-2 Organische Verbindungen
Relevanz des Wirkfaktors:  regelmäßig relevant (2)

     Auswertekategorien:

  1. Empfindlichkeiten/Wirkungen (10)
  2. Regenerationsfähigkeit (0)
  3. Prognosemethoden (1)
  4. Relevanzschwelle (1)
  5. Erheblichkeitsschwelle (3)

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1. Empfindlichkeiten/Wirkungen

1.01 BearbeiterInnen FFH-VP-Info (siehe Impressum) (o. J.)

Unter organischen Verbindungen, die als Umweltgifte für Vögel akut oder chronisch schädigend sein können, werden insbesondere Öle, Lösungsmittel, Industriechemikalien als chemische Grundstoffe wie Benzol, Propan, Formaldehyd, Per- und polyfluorierte Alkylverbindungen (PFAS) sowie (chlorierte) Kohlenwasserstoffe und die davon abgeleiteten Substanzen wie z. B. Weichmacher zusammengefasst.

Ein erheblicher Anteil der Gesamtbelastung mit organischen Verbindungen stammt aus dem großflächigen Einsatz in der Landwirtschaft und diffusen Quellen wie Autoverkehr, Verbrauch im Alltag sowie aus der Verwendung von Pharmazeutika. Die Transportwege entsprechen den unter Wirkfaktor 6-1 für Nährstoffe (mit denen diese oft komplex verbunden sind) beschriebenen Verhältnissen, wobei nur vergleichsweise wenige Einträge organischer Belastungen über atmosphärische Niederschläge zustande kommen. Das erhöhte Gefährdungs- und Kontaminationspotenzial für Vögel der überwiegend aquatischen Lebensräume durch Akkumulation und Sedimentation wird unter Wirkfaktor 6-1 beschrieben.

Vögel reagieren auf Umweltgifte z. T. empfindlicher und schneller als der Mensch. In den höchsten Trophieebenen (Endgliedern) z. T. langer Nahrungsketten reichern sich Schadstoffe an, insbesondere bei karnivoren Greifvögeln und fischfressenden Arten wie z. B. Seevögeln (vgl. Lozán et al. 1994, Becker 2001, Richarz 2001:172ff., Muñoz Cifuentes 2004). Grundsätzlich bestimmen artspezifische v. a. aber individuelle Nahrungszusammensetzungen das Kontaminationsniveau (vgl. z. B. Ellenberg et al. 1984:403, Becker et al. 1985a, 1991, Mattig et al. 2000).

Organische Verbindungen werden von Vögeln im Fettgewebe akkumuliert und wirken insbesondere bei der Reproduktion und unter hohen physischen Belastungen, z. B. in Mangelzeiten oder während des Vogelzuges, biologisch beeinträchtigend oder schädigend (Heidmann et al. 1987:76).

Empfindlichkeiten gegenüber organischen Verbindungen sind vielfältig und oft wirkstoffspezifisch. So greift z. B. DDE in den Calciumhaushalt der Vogelindividuen ein. Auswirkungen sind z. B. die Reduzierung der Bruchfestigkeit von Eischalen. Polychlorierte Biphenyle (PCB) wirken ab Konzentrationen von 3-5 ?g/g Ei embryotoxisch (Becker et al. 1993, Muñoz Cifuentes 2004). Weiterhin sind Wirkungen der persistenten chlorierten Kohlenwasserstoffe auf das Nervensystem bekannt wie z. B. Hyperaktivität und weniger effektives Nestbauverhalten (Dobson 1981, zit. in Heidmann et al. 1987:76). PCB sind technische Gemische aus Kongeneren mit unterschiedlichem Chlorierungsgrad, wobei mit höherer Chlorierung auch die Akkumulation in biologischen Systemen steigt (Becker et al. 1991, Beyerbach et al. 1990, 1993).

Stoffe wie Benzol weisen ein z. T. unterschiedliches Wirkungsspektrum auf, zu dem karzinogene bzw. genotoxische Wirkungen sowie bei längerfristiger Exposition von Wirbeltieren Schäden am Knochenmark und blutbildenden System zählen.

Für die Seevogelarten, Herings-, Silber- und Mantelmöwe, wurden an der süd-westfranzösischen Atlantikküste im Rahmen einer dreijährigen Untersuchung die Belastungen mit verschiedenen PFAS und mögliche Auswirkungen auf die Individuen untersucht. Hohe Konzentrationen dieser Umweltschadstoffe korrelierten mit schlechter Körperkondition bei auffallend geschlechtsspezifischer Verteilung. Bei Mantelmöwen deutete sich ein Zusammenhang mit gestörter Ausschüttung des Schilddrüsenhormons TT3 an, das wichtige Körperfunktionen wie Wachstum und Entwicklung, Körpertemperatur und Herzschlag steuert (Sebastiano et al. 2021). Untersuchungen von PFAS-Belastungen junger Seevögel (Sturmtaucher, Möwen, Seeschwalben, Pelikane) an der Atlantikküste der USA ergaben Hinweise auf Beeinträchtigungen des Fettstoffwechsels in der Leber (Robuck et al. 2020). Fette haben eine Schlüsselfunktion bei Reproduktion, Zugleistungen sowie Gesundheit und Fitness der Individuen.

In der Literatur werden Exposition und Aufnahme verschiedener Stoffgruppen oft unter Umweltschadstoffen oder Umweltchemikalien und deren Wirkungen auf Vögel zusammengefasst untersucht. Im Rahmen von FFH-VP-Info erfolgt jedoch eine differenzierte Darstellung verschiedener Stoffgruppen bzw. Wirkmechanismen. So werden organische Verbindungen mit Schwermetallen wie z. B. Methyl-Quecksilber unter Wirkfaktor 6-3 (Schwermetalle), endokrine Wirkungen von Stoffen, also auf Hormonsystem, Organe und Stoffwechsel, z. B. von PCB oder Dioxinen, zusätzlich unter Wirkfaktor 6-8 (endokrin wirkende Stoffe) beschrieben. Organische Metallverbindungen wie z. B. TBT (Tributylzinn) u. a. Chemikalien mit dem Einsatzzweck "Bekämpfung von Organismen" werden beim Wirkfaktor 8-3 (Pestizide) behandelt.

Konsequenzen toxisch relevanter Belastungen durch organische Verbindungen können - abhängig vom Umfang - z. B. Verringerung des Bruterfolgs bzw. der Überlebenswahrscheinlichkeit von Individuen, Brutpaarverlust, Bestandsrückgang bis hin zu Beeinträchtigung bzw. Erlöschen lokaler (Teil-) Populationen sein.

Differenzierte Ausführungen zur Belastungssituation von Vögeln und deren Lebensräumen mit organischen Verbindungen sowie zu den möglichen Auswirkungen finden sich z. B. bei:
Becker et al. (1985a,b), Becker et al. (1991), Becker et al. (1992), Beyerbach et al. (1993), Disser et al. (1992), Becker (1994), Prüter et al. (1996), Becker et al. (1998), Kahle & Becker (2000), Thyen & Becker (2000), Becker (2001), Becker et al. (2001), Becker & Muñoz Cifuentes (2004), Muñoz Cifuentes (2004), Kenntner et al. (2006).
Einen Überblick zu Quellen, Anreicherung, Risiken und Regulierung von PFAS bietet ein Review von Abunada et al. (2020).

Qualifizierung der Quelle: E



1.02 BearbeiterInnen FFH-VP-Info (siehe Impressum) (o. J.)

Die hohe Belastungssituation des Merlins mit organischen Verbindungen wird in den nachfolgenden Datensätzen zwar für Brutgebiete außerhalb Deutschlands dokumentiert. Erhebliche Anteile der Gesamtbelastung sind jedoch auf diffuse Quellen und großräumige Verteilung zurückzuführen. Anreicherungen dieser Umweltgifte sind deshalb für den Kleinvogeljäger im gesamten Jahreslebensraum, also auch für Durchzugs- und Überwinterungsgebiete in Deutschland anzunehmen.

Qualifizierung der Quelle: E



1.03 Seitz, S. & Havelka, P. (1990)

"Herbizide werden zur Unkrautbekämpfung verwendet. Es handelt sich um eine große Gruppe von Chemikalien, die sehr unterschiedlich in ihrer vergiftenden Wirkung sind. [...] Bei Greifvögeln führen sie zum Absterben von Embryonen und zu Mißbildungen."

Qualifizierung der Quelle: C



1.04 Seitz, S. & Havelka, P. (1990)

"Chlorierte Kohlenwasserstoffe werden zur Schädlingsbegrenzung eingesetzt. Diese Gruppe der Schädlingsbekämpfungsmittel ist chemisch sehr stabil. Das heißt, Chlorkohlenwasserstoffe bleiben jahrelang mehr oder weniger in der Umwelt erhalten. Sie sind hochgiftig und reichern sich aufgrund ihrer guten Fettlöslichkeit (nur minimal wasserlöslich) im Organismus - auch in dem des Menschen - in Fettdepots leicht an. In Mangelzeiten oder bei hohen Anstrengungen werden die Fettdepots abgebaut und die Gifte reaktiviert. Das führt zu schweren Schäden, Sterilität oder gar zum Tod."

Qualifizierung der Quelle: C



1.05 Walker, L. A., Lawlor, A. J., Llewellyn, N., Peréira, M. G., Potter, E., Townsend, J., Turk, A. & Shore, R. F. (2010)

"Pollutants, such as mercury and PCBs, can affect development and hatchability. [...] In general, and specifically in 2006, the residues measured in the eggs of golden eagle and gannets are below those thought to have an adverse effect on bird eggs, but some residues in individual merlin eggs were at concentrations associated with effects in other species. [...]
The analyses of the eggs collected in 2006 confirm that merlins eggs in Britain are still generally contaminated with PCBs. Total PCB and TEQ residues were detected in all 14 eggs contaminated with PCBs. Total PCB and TEQ residues were detected in all 14 eggs. The concentrations of total PCBs were generally low and are below concentrations that are thought to be toxicologically significant (Blus, 1996, Hoffman et al., 1996, Peakall, 1996, AMAP, 1998). [...] The geometric mean and the maximum calculated TEQ concentration associated with PCB contamination in the merlin eggs received in 2006 was 6.44 pg/g wet wt and 17.78 pg/g wet wt, respectively."

Qualifizierung der Quelle: A



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Reports: aktueller Wirkfaktor   aktuelle Wirkfaktorengruppe   alle Wirkfaktoren
 

Qualifizierung der Quellen für Vogelarten

Averallgemeinerbarer, in der Literatur dokumentierter Nachweis für diese spezielle Art
Bin der Literatur dokumentierter Nachweis für diese spezielle Art, aber möglicherweise Ausnahmefall
Cin der Literatur dokumentierter Nachweis für verwandte Arten bzw. andere Arten dieser Artengruppe, der als übertragbar eingestuft wird
Din der Literatur dokumentierter Hinweis für diese spezielle Art oder verwandte Arten bzw. andere Arten dieser Artengruppe
Eeigene Einschätzung oder Aussage Dritter, ohne in der Literatur dokumentierten Nachweis/Hinweis (Experteneinschätzung)
Fkeine Literatur verfügbar / Auswertung bzw. Einschätzung mit aktuellem Bearbeitungsstand noch nicht erfolgt

Legende: Bearbeitungsstand zum Bereich "Beeinträchtigungen"

-bislang noch nicht bearbeitet
Iderzeit nur Einschätzungen zur Relevanz der Wirkfaktoren vorhanden
IIzudem Detaildaten zur Auswertekategorie "1. Empfindlichkeiten/Wirkungen" vorhanden
IIIzudem Detaildaten zu den weiteren Auswertekategorien "2. bis 5." vorhanden
ihre meinung

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dirk.bernotat@bfn.de