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Wirkfaktorengruppe
Definition - Wirkfaktoren
1 Direkter Flächenentzug >> 1-1 Überbauung / Versiegelung
Überbauung und Versiegelung resultieren z. B. aus der Errichtung baulicher Anlagen und schließen die vollständige oder teilweise Abdichtung des Bodens durch Deckbeläge etc. ebenso mit ein, wie bspw. beim Gewässerausbau die Beseitigung von Lebensräumen durch Befestigung der Sohle oder der Ufer.Überbauung / Versiegelung sind regelmäßig dauerhafte, anlagebedingt wirkende Faktoren. Sie können jedoch auch zeitweilig (z. B. baubedingt) auftreten.
Eine mit der Überbauung zumeist einhergehende Beseitigung der Vegetationsdecke wird unter dem Wirkfaktor 2-1 erfasst, die damit ggf. verbundene Tötung von Individuen unter Wirkfaktor 4-1.
Vertiefende Ausführungen - Wirkfaktoren
1 Direkter Flächenentzug >> 1-1 Überbauung / Versiegelung
Überbauung / Versiegelung führt in der Regel zu einem vollständigen oder doch so weitgehenden Verlust der biologischen Funktionen der betroffenen Fläche, dass damit auch die Zerstörung des jeweiligen Lebensraumtyps, seiner charakteristischen Zönose und/oder ggf. betroffener Habitate von Arten nach Anhang II FFH-RL bzw. Anhang I u. Art. 4 Abs. 2 VRL verbunden ist. Obwohl offensichtlich, sind ausgewählte Beispiele hierzu in FFH-VP-Info zu Lebensraumtypen und Arten dokumentiert.Der Lebensraumverlust ist anhand der in Anspruch genommenen Fläche direkt zu quantifizieren. Zur Beurteilung der Auswirkungen ist einerseits die absolute Flächengröße, andererseits deren Relation zu insgesamt im Gebiet vorhandenen Flächen dieses Lebensraumtyps oder Arthabitates erforderlich. Neben der quantitativen ist eine qualitative Abschätzung der Bedeutung im räumlich-funktionalen Kontext des Gebietes notwendig. Im Rahmen der FFH-VP steht zunächst im Vordergrund, ob es sich bei einem eintretenden Flächenverlust um eine erhebliche Beeinträchtigung handelt oder ob das Projekt als mit den Erhaltungszielen verträglich zu bewerten ist.
Hierfür wurden im Rahmen mehrerer Forschungs- und Entwicklungsvorhaben im Auftrag des BfN Fachkonventionen zur Bestimmung der Erheblichkeit bei Lebensraum- und Habitatverlusten erarbeitet (LAMBRECHT & TRAUTNER 2007). Die in den Fachkonventionen enthaltenen Schwellenwerte für eine quantitative "Nicht-Erheblichkeit" sind fachliche Orientierungswerte. Die Fachkonventionen stellen den bislang differenziertesten wissenschaftlichen und zugleich einzigen lebensraumtyp- und artspezifischen Methodenansatz zur Bestimmung der Erheblichkeit entsprechender Beeinträchtigungen dar. Sie sind für ihren Anwendungsbereich als Stand von Wissenschaft und Praxis anzusehen. Die Fachkonventionen wurden inzwischen vielfach in FFH-Verträglichkeitsprüfungen in der Praxis angewandt, von der LANA wohlwollend zur Kenntnis genommen (14.09.2007) und in der Rechtsprechung u. a. des Bundesverwaltungsgerichts anerkannt.
So führt das BVerwG z. B. im Urteil vom 12.03.2008 (Az. 9 A 3.06 Rn. 124f.) aus: "Die Erheblichkeit von Flächenverlusten ist, wie sich aus den allgemeinen Ausführungen zur Erheblichkeit von Beeinträchtigungen ergibt, nach dem Kriterium des günstigen Erhaltungszustandes zu beurteilen. Die Legaldefinition des günstigen Erhaltungszustandes eines natürlichen Lebensraums stellt u. a. darauf ab, ob das natürliche Verbreitungsgebiet des Lebensraums sowie die Flächen, die er in diesem Gebiet einnimmt, beständig sind oder sich ausdehnen. Das legt es nahe, grundsätzlich jeden direkten Flächenverlust als erheblich zu werten (vgl. Urteil vom 17. Januar 2007 - BVerwG 9 A 20.05 - BVerwGE 128, 1 Rn. 50). Dafür spricht auch, dass es anders als bei sonstigen Einwirkungen für dauerhafte Flächeninanspruchnahmen strenggenommen keine Toleranzschwellen gibt, unterhalb derer der geschützte Lebensraum nach einer Störung wieder zum ursprünglichen Gleichgewicht zurückkehren kann. Ob direkte Flächenverluste dennoch ausnahmsweise unerheblich sein können, ist im vorgenannten Urteil offengeblieben (Rn. 50 und 95). Unter Beachtung des gemäß Art. 5 Abs. 3 EG auch für das Gemeinschaftsrecht geltenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, der eine Beurteilung am Maßstab praktischer Vernunft gebietet, ist diese Frage für solche Flächenverluste zu bejahen, die lediglich Bagatellcharakter haben. Eine Orientierungshilfe für die Beurteilung, ob ein Flächenverlust noch Bagatellcharakter hat, bietet der Endbericht zum Teil Fachkonventionen des im Auftrag des Bundesamtes für Naturschutz durchgeführten Forschungsvorhabens "Fachinformationssystem und Fachkonventionen zur Bestimmung der Erheblichkeit im Rahmen der FFH-VP", Schlussstand Juni 2007 (nachfolgend: FuE-Endbericht). Dem darin unterbreiteten Fachkonventionsvorschlag (S. 33) liegt die gesetzeskonforme Annahme zugrunde, LRT-Flächenverluste stellten in der Regel eine erhebliche Beeinträchtigung dar. Ausnahmen von der Grundannahme knüpft der Konventionsvorschlag an sehr enge Voraussetzungen und stellt dabei kumulativ neben anderen Kriterien auf Orientierungswerte absoluten und relativen Flächenverlustes ab."
Weitere Urteile, die auf die Fachkonventionen Bezug nehmen sind z. B. BVerwG v. 09.07.2008, Az. 9 A 14.07, u. a. Rn. 64; BVerwG v. 13.05.2009, Az. 9 A 73.07, u. a. Rn. 50; Niedersächsisches OVG v. 10.11.2008, Az. 7 KS 1/05, S. 26f.; Bay. VGH v. 30.09.2009, Az. 8 A 05.40050, Rn. 61ff.; Bay. VG Regensburg v. 22.02.2010, Az.: RO 2 K 08.491, S. 44ff.; VG Dresden v. 30.10.2008, Az. 3 K 923/04, S. 68f.). Auch in der jüngeren Rechtsprechung des BVerwG, z. B. zur A 33, Abschnitt 7.1 (BVerwG, Urt. v. 6.11.2012, Az. 9 A 17.11, Rn. 46 f.) oder zur A 49 (BVerwG, Urt. v. 23.04.2014, Az. 9 A 25.12, z. B. Rn. 66) werden die Fachkonventionen - auch für den Bereich der Tierarten - grundsätzlich bestätigt.
Aufgrund der breiten Anerkennung der Fachkonventionen wird auch zunehmend in aktuellen Handlungsempfehlungen zur FFH-VP die Anwendung der Fachkonventionen im Zuge der Erheblichkeitsbewertung von Flächeninanspruchnahmen empfohlen (vgl. z. B. TMLNU 2009, 15ff.; EISENBAHNBUNDESAMT 2010, 14f.; MUNLV NRW: VV-Habitatschutz 2010a, 14, MELUR & LKN-SH 2012 oder der österreichische Leitfaden "Natura 2000 und Artenschutz" - Empfehlungen für die Planungspraxis beim Bau von Verkehrsinfrastruktur ASFiNAG 2011). Das EBA (2010: 14f.) führt z. B. ergänzend aus, dass von den Orientierungswerten nur unter sehr differenzierten Begründungen bzw. in atypischen Fällen abgewichen werden sollte.
Auch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) verdeutlicht die strengen Bewertungsmaßstäbe, die im Rahmen der FFH-VP anzuwenden sind. In der Verurteilung Irlands vom 11.04.2013 (Az. C-258/11) führt auch der EuGH aus, dass im Grundsatz jeder dauerhafte Verlust von nach den Erhaltungszielen geschützten Gebietsbestandteilen als Verletzung der Integrität des Schutzgebiets zu verstehen ist und einer Abweichungsprüfung nach Art. 6 (4) FFH-RL bedarf. Unerheblich können dagegen Verluste bzw. Beeinträchtigungen sein, die nicht von Dauer sind (vgl. hierzu z. B. TRAUTNER & BERNOTAT 2014).
Insbesondere im Zusammenhang mit Beeinträchtigungen stark gefährdeter Arten oder bei der ausnahmsweisen Zulassung eines Projektes können für den Alternativenvergleich und die Maßnahmen zur Kohärenzsicherung weitergehende Daten v. a. zu einer unterschiedlichen Überlebenswahrscheinlichkeit betroffener Populationen erforderlich werden (s. hierzu Beiträge in AMLER et al. 1999, s. a. LAMBRECHT et al. 2004, Kap. 3.7.5 u. 3.8.10).
In Ausnahmefällen können mit der Überbauung / Versiegelung als solcher auch neue und relevante Teilhabitate für Arten bereitgestellt werden. Hierbei sind in erster Linie gebäudebrütende / -bewohnende Vogel- und Fledermausarten zu nennen.
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