Auswahl: Wirkfaktoren


Wirkfaktorengruppe

Definition - Wirkfaktoren

4 Barriere- oder Fallenwirkung / Individuenverlust >> 4-3 Betriebsbedingte Barriere- oder Fallenwirkung / Mortalität

Zu den betriebsbedingten Barrierewirkungen sowie Individuenverlusten zählen insbesondere jene, die auf Straßen-, Schienen-, Flug- und Schiffsverkehr zurückzuführen sind.

Die betriebsbedingte Tötung von Tieren resultiert regelmäßig z. B. aus einer Kollision mit Autos, Zügen oder Flugzeugen. Unter dem Wirkfaktor wird auch die (absichtliche oder unabsichtliche) Tötung von Tieren im Rahmen bestimmter Formen der Nutzungsausübung (z. B. Landwirtschaft, Fischerei, Jagd) gefasst. Die Mortalität an Windenergieanlagen, Energiefreileitungen und Wasserkraftanlagen wird dagegen unter Wirkfaktor 4-2 behandelt.

Eine betriebsbedingte Barrierewirkung kann dann entstehen, wenn - insbesondere bei bodengebundenen Arten - z. B. aufgrund hoher Verkehrsdichten oder besonders konfliktträchtiger räumlicher Konstellationen das Überqueren von Trassen bzw. der Wechsel zwischen Teilhabitaten eingeschränkt oder (meist in Kombination mit anlagebedingten Barrierewirkungen) verhindert wird.

Vertiefende Ausführungen - Wirkfaktoren

4 Barriere- oder Fallenwirkung / Individuenverlust >> 4-3 Betriebsbedingte Barriere- oder Fallenwirkung / Mortalität

Betriebsbedingte Barriere- oder Fallenwirkung sind insbesondere für Straßen umfangreich in zahlreichen Analysen belegt, eine besondere Rolle dabei spielen Wildunfälle sowie Amphibien. Letztere können in großem Umfang einer verkehrsbedingten Mortalität unterliegen, (z. B. VOS & CHARDON 1998, KUHN 1987) was auch zum Erlöschen lokaler Populationen führen kann. Unter den Säugetieren stellen Wolf, Luchs, Wildkatze oder Dachs stark betroffene Vertreter dar. Ausführliche Analysen liegen auch für den Fischotter (Lutra lutra) vor, bei dem der Straßenverkehr einen besonders hohen Anteil an den bekannten Todesfällen verursacht. "Die Anzahl der jährlich in Deutschland tot aufgefundenen Fischotter hat sich innerhalb der letzten 15 Jahre verfünffacht. [...] Von vier in Deutschland tot aufgefundenen Fischottern sind drei ein Opfer des Straßenverkehrs." (AKTION FISCHOTTERSCHUTZ E.V. 2002).

Betriebsbedingte Mortalität kann aber nicht nur bei bodengebundenen Arten eine Rolle spielen. Zahlreiche Belege liegen z. B. für Kollisionen von Vögeln und Fledermäusen an Straßen und z. T. Eisenbahnstrecken vor. Im Rahmen einer Analyse der Todesfälle von Seeadlern in Deutschland stellten KRONE et al. (2002) einen hohen Anteil als Opfer des Schienenverkehrs fest. Dabei werden v. a. Greifvögel häufig beim Fressen an Kadavern entlang der Gleiskörper selbst vom Zug erfasst (vgl. a. LÖSEKRUG 1980).

Bei Vögeln und anderen Wirbeltieren können bei aktuell sehr kleinen Beständen (z. B. Ziegenmelker, Steinkauz, Großtrappe, Wiesenweihe, Kleine und Große Hufeisennase, Luchs oder Wolf) bereits Verluste von Einzelindividuen relevant sein. Darüber hinaus können andauernde Wirkungen als "sink-Effekt" Konsequenzen auch für größere Bestände haben. Ein Beispiel hierfür liefern die Untersuchungen von MUMME et al. (2000) an Aphelocoma coerulescens (Florida Srub-Jay) in Florida. Die Vogelart bewohnt dort einen strukturell und räumlich eng begrenzten Bereich, wobei straßennahe Habitate nicht gemieden werden. Die Untersuchungen entlang einer Schnellstraße belegten jedoch eine im Vergleich zu trassenfernen Habitaten deutlich erhöhte Mortalität der brütenden erwachsenen Vögel während der ersten beiden Jahre ihrer Anwesenheit. Auch bei den 30-90 Tage alten Jungvögeln wurde eine hohe Mortalitätsrate durch den Straßenverkehr belegt. Insgesamt überstieg die Mortalität den Reproduktionserfolg, so dass die straßennahen Lebensräume (als "sink-habitats") nur durch laufenden Zuzug von Vögeln der Umgebung besetzt wurden, mit möglichen negativen Konsequenzen für die Gesamt-Bestandsentwicklung der bereits derzeit gefährdeten Vogelart.

Viele weitere Beispiele finden sich z. B. in den Zusammenstellungen von RECK & KAULE (1993), RASSMUS et al. (2003) oder KRAMER-ROWOLD & ROWOLD (2011).

Bezüglich der betriebsbedingten Barriere- oder Fallenwirkung und Mortalität liegen für einige Artengruppen bereits relativ gute Beurteilungsgrundlagen vor (z. B. verschiedene Länderleitfäden zur Thematik Straße und Fledermäuse oder vorhabentypübergreifend BERNOTAT & DIERSCHKE 2021). Im jeweiligen Projekt sind die Einzelfaktoren vor dem Hintergrund der Aktionsräume oder Wanderkorridore von Arten, ihren physischen Leistungsmerkmalen, Verhaltensweisen und vorhabentypspezifischen Empfindlichkeiten sowie der Habitatansprüche zu analysieren. Sofern eine Verträglichkeit nicht durch Einhaltung anerkannter Mindestabstände zu den Gefährdungsstrukturen gewährleistet werden kann, können zur Beurteilung der Auswirkungen der Mortalität aufwändige, detaillierte Studien (z. B. Populationsgefährdungsanalysen, Raumnutzungsanalysen) erforderlich werden. Bei Arten mit sehr geringen Bestandsgrößen kann ggf. bereits die Gefahr des Verlustes einzelner Individuen nicht mehr als unerheblich eingestuft werden.

Ähnlich wie bei anlagebedingten Effekten (Wirkfaktor 4-2) ist anzumerken, dass nach heutigem Stand technische Möglichkeiten bestehen, um einige betriebsbedingte Effekte zu vermeiden oder zu mindern (z. B. Beiträge in GLANDT et al. 2003, AKTION FISCHOTTERSCHUTZ E.V. 2002, DVWK 1996). Eine Ausschöpfung der entsprechenden Möglichkeiten kann dazu führen, dass ein Vorhaben - z. B. ein Straßenbauprojekt - trotz Querung von Wanderkorridoren z. B. des Kammmolches keine erheblichen Beeinträchtigungen nach sich zieht. Technische Maßnahmen zur Vermeidung oder Minderung können insoweit auch als projektimmanente Maßnahmen betrachtet werden, die im Einzelfall eine Verträglichkeit herstellen können.
ihre meinung

Wenn Sie uns Hinweise auf weitere wissenschaftliche Quellen oder Anregungen zu FFH-VP-Info geben wollen, schreiben Sie eine kurze Notiz an:
dirk.bernotat@bfn.de