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Wirkfaktorengruppe

Definition - Wirkfaktoren

8 Gezielte Beeinflussung von Arten und Organismen >> 8-4 Freisetzung gentechnisch neuer bzw. veränderter Organismen

Die Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen (GVO) kann verschiedene negative Auswirkungen auf die einheimische Tier- und Pflanzenwelt zur Folge haben. Diese können sein: I.) Unmittelbare oder mittelbare Schädigung oder Tötung von Pflanzen oder Tieren bzw. deren Populationen, wobei alle Trophiestufen betroffen sein können; II.) Verdrängung von Arten (Konkurrenz); III.) Künstliche Veränderung der genetischen Diversität; IV.) Verschlechterung von Lebensbedingungen für Arten - z. B. der Lebensraumstruktur oder Nahrungsverfügbarkeit.

Vertiefende Ausführungen - Wirkfaktoren

8 Gezielte Beeinflussung von Arten und Organismen >> 8-4 Freisetzung gentechnisch neuer bzw. veränderter Organismen

Bei der Ausbringung von GVO in die Umwelt wird vom Gesetzgeber zwischen experimentellen Freisetzungen (Nationale Zulassung) und Freisetzungen für den kommerziellen Anbau (sog. Inverkehrbringen; EU Zulassung) unterschieden. Im Folgenden werden Ausbringungen unter dem Begriff "Freisetzung von GVO in die Umwelt" zusammengefasst.

Mögliche Wirkungen und Risiken von GVO auf die Umwelt sind in der Regel nur unvollständig untersucht. Die folgenden Ausführungen geben einen groben Einblick in Themenbereiche, die für die Risikobewertung von GVO-Effekten auf Natura-2000 Gebiete relevant sein können. Einen Überblick über Fragen der GVO-Risikobewertung geben beispielsweise (ANDOW & ZWAHLEN 2006, LETOURNEAU & BURROWS 2002, SCHÜTTE et al. 2001, SNOW et al. 2005, TRAAVIK & LIM 2007). Die Bewertung von Konflikten des GVO-Anbaus mit Natura 2000-Gebieten findet sich exemplarisch bei KOWARIK et al. (2008) oder HOFMANN et al. (2008, 2010). Auswirkungen und Risiken von GVO auf die Natur und Umwelt werden auch in der EU-Freisetzungsrichtlinie 2001/18/EG gelistet. Dazu gehören u. a.:

Auskreuzungs- und Invasionsrisiko:
Gelangen gentechnisch veränderte Pflanzen in die Umwelt, so können sie auskreuzen, sich verbreiten, sich dauerhaft ansiedeln und ggf. nachfolgend Schäden anrichten. Ökologische Auswirkungen treten oft, wie z. B. aus der Problematik von invasiven Pflanzenarten bekannt, mit einer erheblichen Zeitverzögerung (> 10 Jahre) auf.

Ein Hybridisierungsrisiko besteht immer, wenn sich der GVO möglicherweise mit wildverwandten Arten kreuzen kann. So ist beispielsweise bei Zuckerrüben eine Verbreitung der Transgene sicher zu erwarten, da in spezifischen Untersuchungen keine Kreuzungsbarrieren zwischen transgenen Formen der Betarüben und anderen Wild- oder Kulturformen gefunden wurden (vgl. z. B. DRIEßEN 2003, GRESSEL 2005, OECD 2006). Auch bei Raps muss mit der Möglichkeit einer Etablierung gerechnet werden (z. B. ROSE et al. 2009), da Kreuzungsexperimente diese Möglichkeit belegen (OECD 2006). Eine Auskreuzung von Raps in andere Arten kann dabei in mehrere Gattungen innerhalb der Kreuzblütler stattfinden. Im Freiland sind Hybridisierungen mit Rübsen (Brassica rapa), Sareptasenf (Brassica juncea), Schwarzem Senf (Brassica nigra), Grausenf (Hirschfeldia incana, synonym Brassica adpressa), Hederich (Raphanus raphanistrum) und Ackersenf (Sinapis arvensis) bekannt.

GVO mit Stresstoleranzen (z. B: Resistenz gegen Trockenstress) können die Fitness von Kulturarten und damit das Invasionspotential erhöhen. Dies kann insbesondere für geschützte Biotope auf Extremstandorten zu einem Problem werden.

Risiko durch direkte Auswirkungen:
Insekten- oder schädlingsresistente Kulturen können direkte Auswirkungen auf die Natur und die Umwelt haben, wenn sie über die Schädlinge hinaus weitere Organismengruppen beeinträchtigen ("non target" oder Nichtziel-Effekte; Bt-Toxine können über die Nahrungskette weitergegeben werden). Unter Umständen setzen schädliche Effekte erst langfristig ein.

Risiko durch indirekte Auswirkungen:
Ein gutes Beispiel für indirekte Auswirkungen geben transgene, herbizidresistente (HR) Kulturen. In diesen werden Totalherbizide eingesetzt, die alle anderen Pflanzen abtöten. Dadurch kann Organismen, die im Agrar-Ökosystem leben, die Nahrungsgrundlage entzogen und ihre Population reduziert werden. Auch insekten- oder schädlingsresistente Pflanzen können indirekte Wirkungen haben, indem durch Schädigung von Nichtziel-Organismen wiederum über die Nahrungskette weitere Auswirkungen auf die Artenvielfalt entstehen.

Die Resistenzentwicklung von Ackerbegleitpflanzen durch Auskreuzung ist bei HR-Pflanzen ebenso zu beachten wie Veränderungen im Herbizidmanagement einschließlich der verwendeten Aufwandmengen und des veränderten Ausbringungszeitpunktes. Während eine Auskreuzung in die Begleitflora die Resistenzproblematik verschärft, kann der Einsatz von HR-Pflanzen auch ohne diesen Aspekt zu einem höheren Pestizidverbrauch führen (BENBROOK 2009, 2012). Der veränderte Ausbringungszeitpunkt kann dazu führen, dass andere Tiere als bei der konventionellen Anwendung vor dem Auflaufen betroffen werden. Darüber hinaus kann ein verändertes Anbaumanagement (z. B: veränderte Fruchtfolgen, veränderte Erntezeitpunkt) auf die an die bisherigen Anbaumethoden angepassten Wildtiere einen negativen Einfluss haben.

Bt-Pflanzen produzieren quasi ihr eigenes Insektizid, das in der Landwirtschaft auch Teil von Spritzpräparaten ist. Ein Anbau von Bt-Pflanzen weist somit Ähnlichkeiten zu einem Einsatz herkömmlicher Pestizide auf.
Auch im landwirtschaftlichen Kontext wurden bereits Folgewirkungen des Einsatzes transgener Pflanzen auf die phytophage Fauna beobachtet. So wird auf das Auftreten sekundärer Schädlinge beim Anbau von transgener Baumwolle und Mais hingewiesen (z. B. DHILLON & SHARMA 2010, DORHOUT & RICE 2010, ZEILINGER et al. 2011, CATARINO et al. 2015), die dort in Folge zu hohen Pestizidaufwendungen geführt haben (ZHAO et al. 2011).

Neben transgenen Nutzpflanzen sind in Zukunft auch transgene Mikroorganismen, Bäume, Insekten oder Fische für eine kommerzielle Nutzung vorgesehen. Im Vergleich zu den derzeitigen GVO-Kulturpflanzen weisen diese Organismengruppen ein höheres Potential für Umweltwirkungen auf.

TAPPESER et al. (2000) legen nahe, dass GV-Mikroorganismen beispielsweise erfolgreich mit indigenen Mikroorganismen gestörter Ökosysteme konkurrieren können oder neue Gene an indigene Organismen transferieren. Die Umweltrelevanz von Mikroorganismen ist hoch, da sie allgemeine und spezifische Stoffwechselaktivitäten sowie den Umsatz der Biomasse ebenso beeinflussen können wie die Struktur von Lebensgemeinschaften und ihre Funktionen in unterschiedlichen Habitaten. Weiterhin könne sie beispielsweise Interaktionen zwischen Symbionten und Organismen verschiedener trophischer Ebenen verändern und Stoffwechselprodukte hervorbringen, die unerwartete Wirkungen auf die Umwelt ausüben.

Neben den transgenen landwirtschaftlichen Kulturen, die derzeit Anwendung finden, kann in Zukunft die Nutzung transgener Tiere und Bäume ein wichtiges Thema für die Risikoprüfung darstellen, da beide Organismengruppen ein hohes Potential für Umweltwirkungen besitzen und ihr Verhalten im Ökosystem deutlich schwieriger vor einer Zulassung untersucht werden kann. Zuchttechnisch gesehen weist GV-Lachs ein schnelleres Wachstum auf. Ökologisch gesehen, können damit aber auch Veränderungen im Nahrungsspektrum, dem Konkurrenzverhalten und der sexuellen Selektion einhergehen (z. B. DEVLIN 2004, DEVLIN et al. 2006). Bäume sind im Vergleich zu Ackerpflanzen wenig domestiziert und langlebig. Breiten sich GV-Bäume in der Umwelt aus oder geben ihre Eigenschaften an wildverwandte Arten weiter, können die Folgen drastisch und nicht abschätzbar sein. In China und den USA werden GV-Bäume bereits in der Forstwirtschaft und im Gartenbau genutzt. In der EU beschränkt sich die Nutzung transgener Bäume und Fische bislang jedoch auf experimentelle Freisetzungen transgener Bäume und Gehölze (darunter Wein und Apfel). Eine kommerzielle Nutzung in der EU ist in den nächsten Jahren nicht zu erwarten. Sogenannte "gene-drive" Mechanismen, die z. B. aktuell in Wildpopulationen bei der Schädlingsbekämpfung erprobt werden, stellen potentiell wichtige Wirkfaktoren dar. Die Verwendung von gene-drive-Systemen, z. B. in Insekten, birgt die Gefahr dass sich neue Eigenschaften nach einer Auskreuzung aktiv in das Genom von Populationen integrieren und diese verändern (DE FRANCESCO 2015; DAVID et al. 2013; REEVES et al. 2012).

Nach wie vor kritisch zu sehen ist die lückenhafte Datenlage, mit der Umweltwirkungen bei Anträgen auf den kommerziellen Anbau von GVO begutachtet werden. DOLEZEL et al. (2009) analysieren eine Auswahl von GVO-Anbauanträgen und kommen zu dem Schluss, dass insbesondere Umweltwirkungen der GVO nur lückenhaft bei der Zulassung untersucht werden. Dabei wird die Annahme der Umweltsicherheit der ganzen Pflanze häufig nicht oder nicht ausreichend mit relevanten und nachvollziehbaren wissenschaftlichen Daten belegt. Zudem bleiben in der Risikoabschätzung auch indirekte Effekte des GVO, wie z. B. Biodiversitätseffekte durch das Komplementärherbizid, weitgehend unberücksichtigt.

Vor dem Hintergrund dieser Ausführungen sind mit der Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen - zumindest mittel- bis langfristig - deutliche Risiken für Natura 2000-Gebiete verbunden. Diese beziehen sich zum einen auf die Arten des Anhangs II (z. B. phytophage Arten wie Schmetterlinge), zum anderen aber auch auf die Lebensraumtypen des Anhangs I mit ihren charakteristischen Arten und Lebensgemeinschaften, da auch Auswirkungen auf Struktur und Funktionen von Ökosystemen insgesamt (s. unter Mikroorganismen, aber auch Fische) nicht ausgeschlossen werden können. Die Risiken sind räumlich nicht auf die Freisetzung innerhalb von Natura 2000-Gebieten beschränkt. So können die GVO direkt z. B: durch Pollenflug toxische Stoffe in die benachbarten Schutzgebiete emittieren (HOFMANN et al. 2014)
. Zum anderen können Tiere aus den Natura 2000-Gebieten GVO-Felder als Nahrungs- oder Rastplatz nutzen und ggf. dort geschädigt werden. Soweit der Einsatz entsprechender Organismen nicht von vornherein auszuschließen ist, ist bei einem Projekt im Einzelfall eine auf die spezifischen Bedingungen ausgerichtete Prognose vorzunehmen, wobei je nach Organismengruppe/genetischer Veränderung bzw. betroffenen Arten eine Übertragbarkeit der vorliegenden Erkenntnisse gegeben sein kann.

Weitere Informationen zu möglichen GVO-Umweltwirkungen und deren Einschätzung finden sich z. B. auch bei RISSLER & MELLON (1996), ANDOW & HILBECK (2004), BARTZ et al. (2005, 2009), KOWARIK et al. (2000, 2008), HILBECK et al. (2011) oder im Bereich der Artengruppe Schmetterlinge (LANG et al. 2015; LANG & OTTO 2010, 2014; HOLST et al. 2013).
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